Rückblick auf die Mitgliederversammlung 2019

Am 4. Dezember 2019 fand in der BAH-Geschäftsstelle in Bonn-Bad Godesberg die diesjährige Mitgliederversammlung von INTEGRITAS – Verein für lautere Heilmittelwerbung e.V. statt.

Im Öffentlichen Teil der Mitgliederversammlung haben zwei Rechtsanwälte vorgetragen, nämlich Frau Dr. Angela Graf von der Rechtsanwaltskanzlei Lücker MP-Recht sowie Herr Dr. Matthias Rudolph von FREY Rechtsanwälte Partnerschaft mbB.

Als erste Referentin startete Frau Dr. Graf zum Thema „Stoffliche Medizinprodukte – Gesetzgebung, Rechtsprechung und aktuelle Entwicklungen“. In diesem Zusammenhang gab sie zunächst einen Überblick über aktuelle nationale Gesetzgebungsverfahren, welche aufgrund der Europäischen Medizinprodukteverordnung 2017/745 (MDR) notwendig wurden. Das Bundeskabinett hat am 6. November 2019 den Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Medizinprodukterechts an die Verordnung (EU) 2017/745 und die Verordnung (EU) 2017/746 (Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz – MPEUAnpG) beschlossen. Der Gesetzentwurf dient in erster Linie der technischen Anpassung des nationalen Medizinprodukterechts an die neuen EU-Vorgaben. Besonderer Fokus des Gesetzes liegt auf der Durchführung der Vorschriften für Medizinprodukte nach Europäischem Recht (Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz – MPDG). Eine für Deutschland wesentliche Änderung ist die durch die EU-Verordnung vorgegebene Umgestaltung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, insbesondere bei der Anordnung und Umsetzung von Maßnahmen bei auffälliger Risikobewertung durch eine zentrale Stelle.

Frau Dr. Graf weist darauf hin, dass die Kompetenz der zuständigen Bundesoberbehörde in Deutschland, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), deutlich erweitert und gestärkt wird. Bislang hatte das BfArM lediglich die Aufgabe der Risikobewertung und Abgabe von Empfehlungen an die zuständigen Behörden auf Länderebene, die über einen Vollzug von Maßnahmen entscheiden. Zukünftig bekommt es die Aufgabe, selber entsprechend der Risikobewertung notwendige Maßnahmen festzulegen, umzusetzen und diese zu überwachen. Einen Schwerpunkt des MPDGs bilden die Regelungen zu klinischen Prüfungen. Es werden Regelungen zu klinischen Studien mit Medizinprodukten im Rahmen rein wissenschaftlicher Studien ohne unmittelbaren Bezug zur Produkteinführung und -überwachung, die nicht primär unter die EU-Verordnung fallen, festgelegt. Weitere Beispiele sind die Festlegung der Sprachen, in denen Unterlagen in Deutschland einzureichen sind, und die Qualifikation der Leiter bzw. Hauptprüfer der klinischen Studien. Zudem bevollmächtigt das Gesetz das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zu mehreren Verordnungen, wenn es z. B. um detailliertere Vorgaben geht, wer Zugang zu den nationalen Datenbanken haben kann oder wer die künftigen produktidentifizierenden Informationen („Unique Device Identification“, UDI) erhält. Auch wird das BMG ermächtigt, spezielle auf die Nutzung von Software als Medizinprodukt zugeschnittene Regelungen zu erlassen. Einen weiteren Schwerpunkt ihres Vortrages bildeten neuere Urteile zu stofflichen Medizinprodukten. In diesem Zusammenhang ging Frau Dr. Graf auf sieben Entscheidungen ein.

Anschließend trug Herr Dr. Rudolph zum Thema „Influencer-Marketing und das Heilmittelwerbegesetz – eine terra incognita?“ aktuelle Fragen des Influencer-Marketings an der Schnittstelle zum Heilmittelwerbegesetz (HWG) vor. In seinem Vortrag ging er zunächst auf die Frage ein, was Influencer-Marketing überhaupt ist. Hinter dem Influencer-Marketing verbirgt sich eine Marketingstrategie, bei der gezielt reichweitenstarke Meinungsmacher (Influencer) für Marketing- und Kommunikationszwecke eingesetzt werden, mit Fokus auf den sozialen Netzwerken. Die wichtigsten Verbreitungskanäle sind hier Blogs, Foren, Social Media Plattformen wie YouTube, Instagram, Twitter oder Snapchat. Influencer besitzen nach Auffassung von Herrn Dr. Rudolph besondere Glaubwürdigkeit und Autorität aufgrund ihrer Themenexpertise. Der Einfluss von Influencern nehme dann zu, wenn diese es schaffen, zu den Followern parasoziale Beziehungen, ein Gefühl der Nähe und Vertrautheit, aufzubauen. Nach einer von Herrn Dr. Rudolph vorgestellten Studie gibt fast jeder Zweite an, ein Produkt aufgrund von Influencer-Werbung gekauft zu haben. Der Einfluss nimmt immer mehr zu.

Rechtsprechung mit Bezug zu Influencer-Marketing an der Schnittstelle zum HWG ist bislang nicht bekannt. Dies hat zur Konsequenz, dass Unternehmen in diesem Bereich rechtliches Neuland betreten. Seit 2017 gibt es erste Entscheidungen zum Bereich des Influencer-Marketings, die die Bereiche Mode und Kosmetik betreffen. Allerdings fehlen auch hier höchstrichterliche Entscheidungen. In den Entscheidungen ging es um die Frage, ob es sich bei den Posts, Tags und Links von Influencern auf Instagram mit Bezug zu Unternehmen um Meinungsäußerungen der Influencer oder um „redaktionell getarnte Werbung“, deren kommerzieller Zweck kenntlich gemacht werden muss, handelte. Eine explizite Kennzeichnung mit „Werbung“ oder „Anzeige“ erfolgte nicht. Herr Dr. Rudolph zog als bisheriges Fazit zur Rechtsprechung, dass ein Influencer, der die kommerzielle Vermarktung des eigenen Images zum Geschäftsmodell mache, als Unternehmer handele. Allerdings sei eine generelle Vermutung, dass Influencer kommerzielle Kommunikation betreiben, im Vergleich zu den Regeln, die für herkömmliche Unternehmen gelten, nicht gerechtfertigt. Post und Links, die einen redaktionellen Beitrag darstellen, der allein der Information und Meinungsbildung diene, müssen nicht gekennzeichnet werden. Bei einer Vermischung von redaktionellen Äußerungen mit Werbung zu qualifizierenden Tags und Links werde die Gefahr der Irreführung des Verbrauchers und die Notwendigkeit der Aufklärung in besonderem Maße begründet, weil werbliche und redaktionelle Ebenen ineinander übergingen. Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Werbung und redaktioneller Äußerung sei die objektive Betrachtung am Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Besuchers des betreffenden sozialen Netzwerks.

Zuletzt ging Herr Dr. Rudolph auch noch auf die Wechselwirkungen zwischen Influencer-Marketing und der Pharmakovigilanz ein. Die Pharmakovigilanz-Abteilungen eines jeden Unternehmens müssen sich laufend über bekannt gewordene, mit der Anwendung der Arzneimittel verbundene Neben- und Wechselwirkungen informieren sowie dafür sorgen, dass Patienten, Ärzte und andere Interessierte auf die Risiken und ggf. auf die Möglichkeiten zu ihrer Verminderung hingewiesen werden. Rechtsprechung, wie weit die Pflicht zur Beobachtung und Untersuchung bei sozialen Medien reicht, gibt es bislang nicht. Diesbezüglich weist Herr Dr. Rudolph auf die Guidelines on good pharmacovigilance practices (GVP) hin. Danach bestehe für eigene Auftritte in den sozialen Medien eine Beobachtungspflicht. Posts eines Dritten, z. B. in dessen privatem Blog, würden jedoch nicht hierunterfallen. Wenn ein Influencer allerdings einen bezahlten Beitrag postet, müssten die diesbezüglichen Reaktionen beobachtet werden. Abschließend ging Herr Dr. Rudolph auch noch auf das Thema der Unternehmenshaftung ein. Die Entwicklung der Rechtsprechung und der Gesetzgebung sollte beobachtet werden.

Zu beiden Vorträgen fand eine lebhafte Diskussion statt.

Zum Abschluss der Mitgliederversammlung lud Herr Pahne bereits jetzt zur nächsten Mitgliederversammlung am 10. Dezember 2020 ein.

Vortrag Influencer-Marketing (1.05 MB)
Stoffliche Medizinprodukte – Gesetzgebung, Rechtsprechung und aktuelle Entwicklungen (746 KB)