Am 10. Dezember 2020 fand die erste virtuelle Mitgliederversammlung von INTEGRITAS – Verein für lautere Heilmittelwerbung e.V. statt.
Im öffentlichen Teil der Mitgliederversammlung trugen zwei Rechtsanwälte, nämlich Frau Dr. Astrid Hüttebräuker aus Düsseldorf sowie Herr Dr. Christian Tillmanns von Meisterernst Rechtsanwälte aus München, vor.
Frau Dr. Hüttebräuker startete mit ihrem Vortrag „Schön oder gesund?“, der sich mit dem Thema Beauty Claims und der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und verschiedener Obergerichte befasste. Zum Einstieg zeigte sie einige Produktbeispiele, auf deren Umverpackung sich Aussagen wie „Schönheit von innen heraus“ und „Hautgesundheit + Elastizität“ finden. Andere Produkte tragen ähnliche Aussagen bereits in ihrer Produktbezeichnung, wie beispielsweise „Forever Beautiful“ und „Haarfit“. Um herauszufinden, ob es sich bei diesen Angaben um schönheits- oder gesundheitsbezogene Angaben handelt, erläuterte Frau Dr. Hüttebräuker zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen. Ein Blick in die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (Health Claims Verordnung – HCVO) ergibt, dass insbesondere die Artikel 2 (Begriffsbestimmungen), 7 (Lauterkeit der Informationspraxis) und 10 (Spezielle Bedingungen) genau angeschaut und sorgfältig subsumiert werden müssen, um hier eine Einordnung vornehmen zu können. So ist gemäß Artikel 2 Absatz 2 Nummer 5 HCVO eine gesundheitsbezogene Angabe jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Diese erste Prüfung ist erforderlich und somit Grundvoraussetzung, um festzustellen, ob man sich überhaupt im Anwendungsbereich der HVCO befindet. Für den Fall, dass es sich um eine allgemeine Beschaffenheitsangabe (wie z.B. Probiotikum ./. Lactobacillus adophilus) oder allgemeine Wohlbefindensangabe (wie z.B. wohltuend und bekömmlich ./. wellness) handelt, befindet man sich nämlich außerhalb der HCVO. Wenn ein Gesundheitsbezug bejaht werden kann, ist im nächsten Schritt zu prüfen, ob es sich um eine spezielle Angabe nach Artikel 10 Absatz 1 oder um eine unspezifische Angabe nach Artikel 10 Absatz 3 handelt, für die das Kopplungsgebot gilt.
Nach dieser einleitenden Thematik ging Frau Dr. Hüttebräuker auf verschiedene Entscheidungen ein. So hat beispielsweise das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf in seinem Urteil aus August 2015, in welchem es um die Bewerbung eines „HA- Collestin-Drinks“ mit Collagen, Hyaluronsäure und Elastin ging, Aussagen wie: „Collagen kann zu einem glatten und festen Hautbild führen, Hyaluronsäure ist drin. Das bindet die Feuchtigkeit, Elastin ist drin. Das verleiht Elastizität, …um 15 Jahre optisch verjüngen, Falten werden aufgepolstert“ als erlaubte Aussagen gewertet. Aus Sicht des Gerichts handele es sich hierbei um keine gesundheitsbezogenen Angaben, da kein qualifizierter Funktionszusammenhang zwischen der Gesundheit einerseits und dem Lebensmittel/Lebensmittelbestandteilen andererseits bestehe. Es gehe hierbei lediglich um das äußere Erscheinungsbild und um ein als optisch ansprechenderes und schöner empfundenes glattes Aussehen der Haut, ohne dass hiermit eine Funktionsänderung der Haut beschrieben werde. Allerdings hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil aus April 2016 (dem eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vorangegangen war) bezüglich „Repair-Kapseln“ entschieden, dass die Aussage „Sorgen für eine tolle Haut, fülliges Haar und feste Fingernägel, jetzt noch effektiver“ unzulässig und damit verboten sei. Gleiches gelte für „Herz-AS-Kapseln“ und die Angabe „mit Vitalstoffen, die die Herzmuskelzellen bei guter Laune halten können. Es müsse immer berücksichtigt und geprüft werden, ob es sich im jeweiligen zu prüfenden Einzelfall um spezifische oder unspezifische Angaben handelt, die wegen ihrer allgemeinen nicht spezifischen Formulierung nicht Gegenstand eines Zulassungsverfahrens sein können. Diese BGH-Entscheidung inklusive der vorinstanzlichen OLG Hamm Entscheidung und der Bedeutung der efsa wurde ausführlich erklärt und dargelegt. Zusammenfassend kam Frau Dr. Hüttebräuker zu dem Ergebnis, dass in jedem Einzelfall die Gesamtaufmachung des Produktes und der Gesamteindruck innerhalb des Kontextes ansehen werden sollte. Die Fälle seien nicht immer kalkulierbar, weshalb beim Thema Beauty Claims nach wie vor ein sensibler Umgang ratsam sei.
Im Anschluss an dieses lebensmittelrechtliche Thema widmete sich Herr Dr. Tillmanns in seinem Vortrag „Telemedizinische Angebote: Chancen und ihre Risiken“ dem arzneimittel- und medizinprodukterechtlichen Bereich. Dieser startete mit den rechtlichen Rahmenbedingungen des § 9 Heilmittelwerbegesetzes (HWG) in seiner neuen Fassung. Durch die Einführung des Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), das am 19. Dezember 2019 in Kraft getreten ist, hat § 9 HWG einen Satz 2 bekommen. Nach Satz 1, der wie folgt lautet: „Unzulässig ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden, die nicht auf einer eigenen Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung).“, ist folgender Satz 2 angehängt worden: „Satz 1 findet keine Anwendung auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.“ Diese Änderung beruht auf einer Lockerung des ärztlichen Berufsrechts bezüglich des ausschließlichen Fernbehandlungsverbots und der hiermit einhergegangenen Neufassung des § 7 Absatz 4 Musterberufsordnung der Ärzte (MBO-Ä). Wie sich der Begründung des 120. Deutschen Ärztetages entnehmen lässt, soll allerdings die physische Präsenz der Ärztin/des Arztes weiterhin der „Goldstandard“, mithin der persönliche Kontakt zwischen Arzt/Ärztin und dem Patienten, bleiben. Somit sollte der neu eingefügte Satz 2, mithin die Verwendung von Kommunikationsmedien, lediglich die Ausnahme darstellen.
Nach einer kurzen Abgrenzung zwischen der Fernbehandlung auf der einen und den digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) im Sinne von § 33a SGB V (keine ärztliche (Fern-) Behandlung) auf der anderen Seite präsentierte Herr Dr. Tillmanns einige Beispiele zum E-Rezept sowie zu telemedizinischen Angeboten im Internet. All diesen Beispielen ist gemein, dass online ein Fragebogen (Anamnesebogen) ausgefüllt werden kann, anhand dessen ein – meist verschreibungspflichtiges – Arzneimittel ausgewählt wird, für das der Patient ein Rezept erhält, welches direkt an eine – meist ausländische – Versandapotheke weitergeleitet wird, die das Arzneimittel per Post an den Patienten nach Hause schickt. In vielen Fällen geht es bei den zu behandelnden Krankheiten um „Männerkrankheiten“ wie vorzeitiger Samenerguss, erektile Dysfunktion oder Haarausfall. Das Kammergericht (KG) Berlin ist in seinem Urteil aus Dezember 2019, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem das DVG noch nicht in Kraft und somit Satz 2 in § 9 HWG noch nicht eingefügt war, zu dem Ergebnis gekommen, dass eine solche Werbung für Fernbehandlungen nach § 9 Satz 1 HWG eindeutig verboten sei. Des Weiteren führt es aus, dass das Inkrafttreten von § 9 Satz 2 HWG zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen würde. Es sei nicht davon auszugehen, dass nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich wäre. Insbesondere bei der Behandlung von Impotenz und Adipositas sowie bei der Raucherentwöhnung ist wegen der Möglichkeit psychischer Ursachen und der Indikation von (begleitenden) (psycho-)therapeutischen Maßnahmen ein persönliches Gespräch zwischen Arzt und Patient erforderlich. Hinzu komme, dass viele Fachinformationen wie z.B. die von Viagra oder Cialis den Hinweis enthalten, dass, bevor eine medikamentöse Therapie in Betracht gezogen werde, die Diagnose einer erektilen Dysfunktion gestellt und zugrundeliegende Ursachen mittels Anamnese und körperlicher Untersuchung ermittelt werden solle.
Andere Urteile, die Herr Dr. Tillmanns vorstellt, zeigen, dass die Gerichte dies durchaus unterschiedlich gewertet haben und in § 9 Satz 2 HWG keinen Erlaubnisvorbehalt zu Satz 1 sehen, sondern eine Regelung der Reichweite des Verbots. Es gibt bisher eine Entscheidung (Ottonova), die bereits zweitinstanzlich vor dem OLG München im Juli 2020 entschieden worden ist. Diese bestätigt das Urteil des Landgerichts (LG) Münchens, wonach § 9 Satz 2 HWG eine echte Ausnahmeregel darstellt mit der Folge, dass die Beweislast für das Vorliegen der Ausnahme der Werbende trägt. Auf Nachfrage teilte Herr Dr. Tillmanns mit, dass er damit rechne, dass diese durchaus spannende Frage irgendwann durch den Bundesgerichtshof entschieden werde.
Zum Abschluss der Mitgliederversammlung lud Herr Pahne bereits jetzt zur nächsten Mitgliederversammlung am 9. Dezember 2021 ein.
Vortrag Telemedizinische Angebote (2.6 MB)
Vortrag Schön oder gesund (1.39 MB)
Geschäftsbericht 2019/2020 (287 KB)